Du hast Probleme, deine Gefühle zu spüren und in Worte zu fassen? Sprichst auch mit anderen Menschen nicht gerne über deine oder ihre Gefühle? Spürst öfters verwirrende körperliche Empfindungen? Möchtest gerne unbedingt rekonstruieren und analysieren, wieso die Dinge so sind wie sie sind? Weißt oft nicht, woher plötzlich deine Wut kommt? Dann ist es möglich, dass du Alexithymie hast.
Alexithymie ist ein Phänomen, das sich ungefähr bei jedem Zehnten in unserer Gesellschaft zeigt. Kern dieses Phänomens ist die Schwierigkeit, Gefühle zu spüren, zu erkennen und sie benennen zu können. Es handelt sich dabei um ein subklinisches Phänomen, also keine psychische Störung, kann aber dennoch einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden haben. Folgend findest du ein paar typische Anzeichen von Alexithymie.
Typische Anzeichen von Alexithymie
Alexithymie zeigt sich im Bereich von Denk- und Regulationsprozessen. Du hast Schwierigkeiten, deine Gedanken, Gefühle und körperlichen Prozesse gedanklich einzuordnen und einen guten Umgang damit zu finden. Oder es fällt dir sehr schwer, bestimmten Impulsen nicht nachzugehen – z.B. negative Bemerkungen gegenüber anderen nicht zu äußern, die dich gerade nerven.
Alexithymie zeigt sich auch im Umgang mit Gefühlen. So könnte es dir schwer fallen, die Ursachen für unangenehme Gefühle in dir zu erkennen, oder verschiedene Emotionen differenziert wahrzunehmen. Genauso wie es dir schwer fallen könnte, Unterstützungssysteme für emotionale Problem zu suchen und nutzen: so liegt es dir beispielsweise fern, einen Freund anzurufen, wenn es dir schlecht geht, oder Noise Canceler zu nutzen, wenn du wiederkehrendem Lärm am Arbeitsplatz ausgesetzt bist.
Alexithymie macht sich außerdem im psychosozialen Bereich bemerkbar. Du könntest Schwierigkeiten haben, dich deinen Freundinnen gegenüber empathisch zu zeigen, (obwohl du das gerne tun würdest). Generell ist es dir lieber, mit anderen nicht über deine oder ihre Gefühle zu sprechen. Vielleicht hast du auch wiederkehrende Gefühle von Einsamkeit.
Wie Alexithymie das Wohlbefinden beeinflusst
Man könnte meinen, das nicht-Fühlen von Emotionen wäre eine feine Sache, schließlich bleiben einem auf diese Weise unangenehme Gefühle erspart. Auf der Hand liegt dabei, dass dir so leider auch die positiven Gefühle erspart bleiben, bewusste Freude wird schwieriger. Ein anderer, noch wichtigerer Aspekt ist, dass Menschen mit Alexithymie durchaus spüren, dass etwas in ihnen vorgeht. Sie können diese Vorgänge aber schlichtweg nicht als Emotionen oder Gefühle erkennen und benennen, sondern verwechseln sie teils mit körperlichen Beschwerden. Und das erschwert wiederum das Selbst-Verständnis und ebenfalls das Problemlösen.
Ein Beispiel: Du hast morgen eine Prüfung, deren Ausgang dir wichtig ist. Als Mensch mit Alexithymie spürst du dann eventuell ein Rumoren in der Bauchgegend, und fragst dich, welches Essen du nicht vertragen hast. Dir könnte also schwerfallen, das Rumoren in deinem Bauch als (vollkommen normale) Nervosität zu verorten. Dieses Phänomen wird insofern schwierig, als dass du die Bedürfnisse, die hinter deinen Gefühlen stehen nicht wahrnehmen kannst. So kann hinter großer Nervosität vor einem Vorstellungsgespräch zum Beispiel das Bedürfnis nach Anerkennung und beruflicher Weiterentwicklung stehen. Die Botschaft deiner Nervosität könnte lauten „mir ist wirklich wichtig, diesen Job zu bekommen. Ich sollte mich gründlich dafür vorbereiten“.
Ein anderes Beispiel: Wenn du dich von deiner Partnerin getrennt hast, und danach deine Gefühle von Traurigkeit nicht erkennen und benennen kannst, geht dir eventuell die wichtige Botschaft durch die Lappen „Meine Expartnerin ist mir sehr wichtig und ein Teil von mir wünscht sie sich an meine Seite zurück“. Wenn du deine Gefühle nicht fühlst, kann dich das im schlechtesten Falle davon abhalten, wichtige Handlungsschritte zu gehen, um deine Bedürfnisse zu erfüllen – hier beispielsweise den Kontakt zu deiner Expartnerin wieder herzustellen, oder für dich selbt in unterstützender Art und Weise da zu sein. Stattdessen spürst du vielleicht anhaltende Lethargie, und weißt nicht so recht, was dir fehlt.
Menschen mit Alexithymie können sich zumal schwer in andere hineinversetzten. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie eine andere Person sich in Anbetracht bestimmter Ereignisse fühlt, wenn du gar nicht weißt, wie du dich selbst in deren Situation fühlen würdest. Entsprechend kannst du dich dieser Person auch nicht so gut auf eine mitfühlende Art und Weise zeigen. Und selbst wenn du gelernt hast, dass xy bei dem meisten Menschen ein bestimmtes Gefühl auslöst, fühlst du dieses selbst nicht. Ein guter Freund hat gerade einen wichtigen Menschen verloren. Hier hast du bereits gelernt, dass der Verlust eines wichtigen Menschen die meisten Menschen, und somit vermutlich auch deinen Freund, traurig macht. Du fühlst diese Traurigkeit aber nicht, dir kommen selbst keine Tränen.
Diese Beispiele verdeutlichen hoffentlich, inwiefern Alexithymie beeinträchtigend auf den Alltag, Beziehungen und das Leben wirken kann, wenn diese unerkannt bleibt. Alexithymie ist an sich nicht „heilbar“, allerdings kann ein besserer Umgang mit der Symptomatik erlernt werden, sodass sie weniger beeinträchtigend wirkt. Unter diesem Link kann man sich ein Bild darüber machen, inwiefern man selbst Symptome von Alexithymie aufweist. Ein einfacher erster Schritt, um mehr Zugang zum Thema Gefühle zu bekommen kann außerdem Lektüre dazu sein, so ist dieses Buch über Gefühle beispielsweise empfehlenswert.
Hast du von dem Phänomen der Alexithymie schon mal gehört? Erkennst du dich vielleicht sogar in dem Text oder stehst jemandem nahe, der sich darin erkennen könnte? Dann teile meinen Beitrag gerne.
Vielen Dank für Ihre Erläuterung. Ich habe durch 10 Minuten Lesen be- griffen, was in 53 Jahren alles schief gelaufen ist mit mir, wie kaputt ich bin und – das Schlimmste – wie kaputt ich meine Liebsten dadurch gemacht habe. Ihr Erklärungen bringen es auf den Punkt. Tragisch dass man es erst erkennt wenn es zu spät ist.
Lieber Stephan, danke dir für deine Rückmeldung. Es tut mir leid von deiner traurigen Erkenntnis zu lesen. Und vielleicht kann genau diese Erkenntnis doch auch etwas Positives mit sich bringen, sei es zunächst nur ein Mehr an (Selbst-)Verständnis und dass du mit deinem Erleben sicher nicht alleine bist. Ich wünsche dir alles Gute.