Das Window of Tolerance
In der Psychologie gibt es ein Konzept namens Window of Tolerance, welches ich kürzlich in einer Supervision kennen gelernt habe. Das Window of Tolerance bezieht sich auf unseren psychischen Zustand. Das Konzept beschreibt die Spanne eines Bereiches, in dem eine Person in der Lage ist, Stress und Herausforderungen angemessen zu bewältigen, ohne in extreme Reaktionen wie Übererregung oder Erstarrung zu geraten.
Am besten kann man sich das „Window of Tolerance“ als einen Fluss vorstellen, welcher ruhig und beständig fließt, auf welchem du dahintreibst und effektiv funktionieren kannst. Wenn du dich innerhalb dieses Fensters befindest, bist du in der Lage, deine Gedanken und Emotionen zu regulieren, mit Stress umzugehen und angemessen auf die Anforderungen deiner Umgebung zu reagieren, du hast Zugang zu Verstand und Emotionen und bist mental präsent, quasi in deinem mentalen sweet spot.
Wenn du außerhalb deines Windows of Tolerance in einen übererregten Status gerätst, zeigst du eine erhöhte Reaktivität. In diesem Status fühlen sich die meisten sehr ängstlich, wütend oder außer Kontrolle und bekommen das Bedürfnis zu kämpfen oder zu fliehen. In der Regel kommst du nicht übergangslos von deinem Window of Tolerance zur Übererregung – dazwischen liegt ein Grenzbereich. In diesem Bereich zeigt sich zunächst Angespanntheit, du beginnst dich wütend oder ängstlich zu fühlen. Du fühlst dich in diesem Übergangsbereich nicht wohl, aber auch noch nicht außer Kontrolle. Kommst du in diesen Grenzbereich und bist nicht im Stande, dies zu erkennen und dich erfolgreich zu regulieren, kommst du in den beschriebenen übererregten Status.
Gerätst du stattdessen in einen stark untererregten, starren Zustand kannst du dich lethargisch, antriebslos, depressiv, (emotional) taub und motivationslos fühlen. Hier fällt es schwer, die Dinge zu tun, die dir eigentlich am Herzen liegen, es herrscht eine verminderte Reaktivität. Im vorlaufenden Grenzbereich zur Erstarrung beginnst du, dich überfordert zu fühlen, dein Körper könnte beginnen, sich abzuschalten, du könntest das Zeitgefühl verlieren. Auch hier fühlst du dich nicht wohl, bist aber noch nicht außer Kontrolle, und auch hier kommt es darauf an deinen Zustand zu erkennen und dich erfolgreich zu regulieren, um nicht in den untererregten Zustand zu gelangen.
Das Window of Tolerance kann sich verändern
Verschiedene Faktoren können das Window of Tolerance beeinflussen. Stellen wir uns nochmals den Fluss vor. Dinge wie dein aktuelles Stressniveau, Schlaf, deine Ernährung oder soziale Unterstützung können dazu führen dass das Flussbett viel schmaler wird, der Fluss schneller fließt, und du schneller an deine Grenzen kommst und eine erfolgreiche Regulation für dich schwieriger wird. Ebenfalls eine Rolle können auch Faktoren wie genetische Veranlagung, frühe Kindheitserfahrungen oder traumatische Ereignisse spielen, die dein Window of Tolerance von Grund auf prägen können. Kommen viele belastende Faktoren zusammen, kannst du dir gut einen wild reißenden Strom vorstellen, in welchem erfolgreiche Emotionsregulation schwer fallen kann.
Die gute Nachricht ist jedoch, dass es möglich ist, dein Window of Tolerance zu erweitern. Nachgewiesen kann Achtsamkeit und Meditation dabei helfen. Zumal sind altbekannte, aber im Alltag doch oft vernachlässigte Dinge wie Musik, Bewegung, Schlaf, Meditieren oder stützende soziale Kontakte wichtige Punkte, die dein Flussbett formen. Außerdem ist zu betonen, dass es auch bei allen Bemühungen vollkommen normal ist, auch mal außerhalb deines Window of Tolernace zu geraten.
Wieso es hilfreich ist, dein Window of Tolerance zu kennen
Warum ist es wichtig, dein eigenes Window of Tolerance zu kennen? Nun, das Verständnis für dein Window of Tolerance ermöglicht es dir, ein besseres Selbst-Verständnis zu bekommen, besser für deine psychische Gesundheit zu sorgen und effektiver mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Indem du deine (emotionalen) Grenzen früher erkennst und respektierst und auf deinen Zustand eingehst, kannst du ein ausgewogeneres und erfüllteres Leben führen.
Damit meine ich deinen Umgang, wenn du in Grenzbereiche deines Windows of Tolerance kommst, denn dieser ist in deiner direkten Kontrolle. Wenn du erste Anzeichen einer Übererregung erkennst (wichtiger erster Schritt!), kannst du Techniken wie Achtsamkeit, Zentrierung, eine Pause und Atemübungen nutzen, um dich erfolgreich (herunter) zu regulieren. Bemerkst du dass du dich hin zu einem untererregten Zustand bewegst kannst du auch hier Achtsamkeit, Atemtechniken oder physische Aktivität nutzen, um dich erfolgreich (hoch) zu regulieren. Oft ist erfolgreiche Emotionsregulation eines der wichtigsten Themen innerhalb einer psychologischen Beratung oder Psychotherapie.
Das Konzept des Window of Tolerance kann zumal auf verschiedenste Lebensbereiche angewendet werden, seien es Beziehungen, Arbeit oder Freizeit. Denn wenn du außerhalb deines Windows of Tolerance gerätst, egal in welchem Kontext, kannst du leicht Dinge tun oder nicht tun, welche dich von dem Leben und den Beziehungen die du dir wünschst weiter weg bringen. Denke z.B. an Partnerschaftskonflikte, in welchen du übererregt wirst und Dinge tust oder sagst, die der Beziehung schaden. Oder an Arbeitsaufgaben, welche aufgrund von fehlender Motivation nicht angegangen werden. Kenntnis um dein Window of Tolerance kann also deine zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern, deine Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz steigern und ein allgemeines Gefühl der Zufriedenheit fördern.
Insgesamt ist das Window of Tolerance ein äußerst nützliches Konzept, das hilft, emotionale Regulation zu verstehen und zu verbessern. Indem du dich bemühst, dein Window of Tolerance zu erweitern und dich selbst achtsam unterstützt, kannst du ein erfüllteres und ausgewogeneres Leben führen. Gerne kann ich dich als Psychologin professionell dabei begleiten deine Selbst-Regulation zu verstehen und verbessern. Hier kannst du dir gleich mein Beratungsangebot anschauen.
Was hältst du vom Modell des Window of Tolerance? Hast du aus diesem Beitrag Erkenntnisse für dich gewonnen?