Stress: wann ist er gut für dich, wann schadet er dir?

Stress - Frau versucht an Laptop zu arbeiten, während zwei Kinder hinter ihr wild spielen

 

Stress und die Kampf-/Flucht Reaktion werden gerne als lästiges Überbleibsel aus unserer primitiven Vergangenheit verteufelt, auch wenn Stress für die meisten von uns ein selbstverständlicher Teil in unserem Leben darstellt. Andrew Huberman, Neurobiologe an der Standford Universität räumt zum Thema Stress in seinem Podcast auf. Tatsächlich hilft dir nämlich Stress und deine Stressreaktion, gut und gesund durch dein Leben zu kommen. Stress kann aber auch schlecht für dich sein. Erfahre hier, wann Stress schädlich wird und was du tun kannst.

Stress nach Andrew Huberman

Andres Huberman beschreibt Stress als Nichtübereinstimmung zwischen Mensch und Umwelt. Ob das Erregungsniveau im Menschen „gut“ oder „schlecht“ ist, kommt auf den Kontext (die Umwelt) an. Hast du ein hohes inneres Erregungsniveau, und eine Aufgabe fokussiert unter Zeitdruck zu erledigen, ist das „gut“ – der Kontext passt. Wenn es aber Schlafenszeit ist, ist das hohe Erregungsniveau „schlecht“, der Kontext passt nicht.

Die physiologische Stressreaktion

Physiologisch betrachtet wird bei Stress der Sympathikus aktiviert – durch eine Kette von Neuronen wird der Neurotransmitter Acetylcholin ausgeschüttet. Dieser sorgt im weiteren Verlauf dieser Kettenreaktion dafür, dass Adrenalin an spezifische Organe ausgeschüttet wird. An bestimmten Stellen reagieren Betarezeptoren darauf, indem sie eine Erweiterung der Gefäße und somit einen höheren Blutfluss bewirken (z.B. Muskelgruppen in den Beinen). Andere Rezeptoren an spezifischen Stellen kontraktieren dagegen die Blutgefäße, sodass dort weniger Blut fließt, z.B. im Magen oder Hals (daher können der trockene Hals und Verdauungsprobleme bei langfristigem Stress kommen). Außerdem zeigt sich eine Tendenz zur gesteigerten motorischen Aktivität – was im schlechtesten Fall darin endet, dass man Dinge sagt oder tut, die man später bereut.

Wann die Stressreaktion gut ist

Das kann sowohl abhängig von der Natur des Stressors sein, als auch von der Dauer des Stresses.

Stressoren können psychologisch oder physisch sein. Wenn du barfuß auf einen rostigen Nagel trittst (ein physischer Stressor) ist die Stressreaktion eine wunderbare Sache. Viren und Bakterien werden nämlich auch mit der Stressreaktion bekämpft, Killerzellen und Adrenalin werden freigesetzt und helfen, Eindringlinge unschädlich zu machen. Der Aufmerksamkeitsfokus wird enger, Kognition geschärft (dank des freigesetzten Acetylcholins). Selbes gilt für Infektionen. Wenn du in einen verbalen Konflikt mit deinem Partner gerätst ist die Stressreaktion allerdings oft nicht hilfreich. Denn dort sollte es im besten Fall um gegenseitiges Verständnis gehen, wobei ein enger Fokus und gesteigerte motorische Aktivität nicht hilfreich sind.

Bei der Dauer des Stresses unterscheidet Andrew Huberman in Kurzzeitstress, mittelfristigen Stress, und Langzeitstress. Nach Daumenregel kann man sagen – Kurzzeitstress ist langfristig nicht schädlich, mittelfristiger Stress auch nicht unbedingt, Langzeitstress hingegen schon. Aber es gibt Dinge, die du tun kannst, um mit den verschiedenen Stressarten besser umzugehen.

Kurzzeitstress

Kurzzeitstress ist eine gute Sache (wie oben beschrieben) – in einer perfekten Welt sollten wir wenige Stresspeaks haben im Laufe unseres Tages, und am Abend ganz entspannt ins Bett gehen und schlafen können. Eine kurzzeitige Stressreaktion kann auch willentlich herbeigeführt werden, z.B. dann, wenn du ein leichtes Kratzen in deinem Hals vernimmst, aber nicht krank werden möchtest. Dazu musst du nicht in einen rostigen Nagel treten – eine eiskalte Dusche hat z.B. den selben Effekt. Außerdem sind Atmung und Herzrate unmittelbar miteinander verknüpft, woraus sich Werkzeuge ergeben, welche sowohl eine Stressreaktion herbeiführen können, als auch eine vorliegende Stressreaktion herunterfahren können.

Eine kurzzeitige Stressreaktion lässt sich mithilfe von unserer Atmung durch eine bestimmte Form von Hyperventilation herbeiführen, z.B. der gerade populären Wim Hof Atemtechnik. Es gibt auch eine spannende Studie zu dem Thema. Dort wurden Menschen mit einem E. coli Virus infiziert. Die Hälfte der Versuchspersonen haben danach eine bestimmten Art von Hyperventilation angewendet um eine Stressreaktion zu erzeugen. Diese Gruppe entwickelte keinerlei Symptome von dem Virus. Die Gruppe ohne Hyperventilation (wie zu erwarten) allerdings schon.

Wenn du gerade eine Stressreaktion hast, aber in einer Situation bist, in der diese nicht erwünscht ist (z.B. im Konflikt mit deinem Partner) kannst du das sogenannte physiologische Seufzen willentlich herbeiführen. Tiere und Menschen machen es ganz automatisch, z.B. beim Einschlafen, oder beim Weinen. Das physiologische Seufzen senkt durch physiologische Effekte die Herzrate. Hier kannst du sehen, wie das funktioniert:

Für das physiologische Seufzen atmest du also idealerweise einmal voll durch die Nase ein, atmest ein zweites mal durch die Nase ein, und dann langsam durch den Mund aus. Das kannst du ein paar Mal wiederholen. Falls du in einer Panikattacke steckst solltest du zuerst deine Lungen vollständig entleeren, bevor du das physiologische Seufzen anwendest. Dadurch senkt sich deine Herzrate langsam wieder, dein Fokus weitet sich wieder, du verspürst weniger motorische Unruhe oder Angst bei einer Panikattacke.

Mittelfristiger Stress

Mittelfristiger Stress ist nach Andrew Huberman alles, was zwischen mehreren Tage und mehreren Wochen anhält. Stress wird ungesund, wenn wir uns von ihm gar nicht mehr lösen können, und dieser z.B. auch immer wieder unseren Schlaf beeinträchtigt. Dinge wie Bewegung oder eine lange lange Umarmung mit jemand vertrautem oder eine kalte Dusche, die später gerne warm werden darf, können dir helfen, nach einem stressigen Tag in einer stressigen Zeit abends wieder herunter zu kommen.

Ein anderes Werkzeug, um besser mit mittelfristigem Stress umzugehen, ist deine Stress-Schwelle hochzuschrauben, z.B. indem du dich forciert in stressige Situationen begibst, um dich dann trotzdem ruhig verhalten lernst. Das kann bedeuten, deine Herzrate z.B. durch Bewegung richtig hochzubringen und dann ganz bewusst vom Tunnelblick zu einem Panoramablick zu kommen (also deine visuelle Aufmerksamkeit auf Sachen zu beiden Seiten in deinem äußeren Blickfeld zu fokussieren). So wird Stress an sich weniger bedrohlich und du lernst den „kühlen Kopf“ zu bewahren, auch wenn der Kontext herausfordernd ist.

Langzeitstress

Langzeitstress ist der Stress, den viele meinen, wenn sie von Stress als etwas schlechtem sprechen. Und das mit voller Berechtigung – chronischer Stress führt zu Herzkrankheiten. Und wahrscheinlich kennst du die meisten Dinge bereits, die du beachten solltest, wenn du dauerhaft stressbelastet bist – gute Schlafroutinen, gesundes Essen und genügend Bewegung puffern die negativen Effekte von chronischem Stress.

Eine Sache, die Andrew Huberman besonders hervorhebt (da sie tendenziell unterschätzt wird) ist soziale Verbindung. Soziales Miteinander mit Menschen, auf die wir uns freuen, denen wir vertrauen, oder sogar Tieren oder andere Dingen und Aktivitäten, die wir wirklich genießen. Lachen. All diese Dinge sorgen dafür, dass Serotonin ausgeschüttet wird, was wiederum ein Gefühl von Wohlsein auslöst. Und natürlich liegen (soziale) Verbindungen nicht vollständig im eigenen Einflussbereich und erfordern Flexibilität, sind aber gleichzeitig das „Investment“ wert. Denn soziale Verbindungen buffern die negativen Effekte von Langzeitstress und hängen nicht nur mit der allgemeinen Lebenszufriedenheit, sondern auch positiv mit der Lebensdauer zusammen.

Was denkst du zum Thema Stress? Hast du einen Weg gefunden, um mit Stress in deinem Alltag gut umzugehen? Gibt es eine Sache, die dir dabei besonders hilft? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.

 

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