Fühlst du dich manchmal niedergeschlagen und antriebslos – und stellst gleichzeitig hohe Ansprüche an dich? Vielleicht begleitet dich dieser Perfektionismus schon dein ganzes Leben? Dann könnte es sein, dass er eine Rolle bei deinen depressiven Symptomen spielt. Im folgenden Artikel erfährst du, wie sich Perfektionismus und Depressionen bedingen können, was dahinterstecken mag und auch, was du tun kannst, wenn du mit dieser Kombination konfrontiert bist und den ständigen Druck von dir nehmen möchtest.
Perfektionismus ≠ Perfektionismus
Perfektionismus kann Freund und Feind sein, da er helfen kann, sehr gute Leistungen in Arbeit oder Sport zu bringen oder sich einen idealen Alltag aufzubauen. Perfektionismus kann aber unterschiedliche Antreiber haben, sich also in seiner Funktion unterscheiden. Ein wichtiger Punkt beim Thema Perfektionismus und Depressionen sind Ängste. Die entscheidende Frage ist: Sind perfektionistische Bestrebungen und Handlungen für dich eine Art und Weise, (dich) dir als wertvoll zu beweisen, Ängsten und Unsicherheiten (z. B. vor Ablehnung) zu entgehen? Oder hast du einfach Lust auf ein richtig gutes Ergebnis?
Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich mit dieser Differenzierung zwei Schubladen öffnen, in der alle ihren eindeutigen Platz finden. Vielleicht zeigt sich bei dir eine Tendenz, wenn du über diese Frage nachdenkst. Am wertvollsten ist es allerdings, sich im Kleinen zu fragen – mache ich das gerade, um Angst/Unsicherheit zu entgehen, oder weil ich Lust darauf habe?
Wie sich Perfektionismus und Depressionen begünstigen können
Und der Mensch ist Mensch…
Die menschliche Natur ist unperfekt – und genau das macht uns aus. Wenn der Anspruch hoch ist und das Leben passiert (ein Liebesaus, mehr Arbeit zu erledigen als bewältigbar, plötzlich keine Arbeit mehr, eine Entscheidung …), sind Enttäuschung, Selbstkritik und Angst vorprogrammiert. Gerade wenn besonders gute Leistungen als einzige Grundlage für das Selbstwertgefühl dienen, kann man schnell in einen Teufelskreis geraten. Wirst du deinem eigenen Anspruch nicht gerecht, fühlst du dich schlecht und versuchst noch stärker, gute Leistungen zu erzeugen. Das kann schnell in Erschöpfung enden. Und diese macht es schwer, richtig gute Leistungen zu erzielen – mit dem Ergebnis, dass dein Selbstwertgefühl leidet. Und das kann du einer Depression beitragen.
Zombie deiner Unsicherheit?
Wenn Angst und Unsicherheit dein Handeln bestimmen, kann Perfektionismus zu einer Falle werden und auch depressive Symptome verstärkt.
Ein Beispiel: Stelle dir vor, wie du in Reaktion auf eine schwierige Arbeitsaufgabe (die du natürlich richtig gut machen willst) den Beginn immer weiter vor dir herschiebst. Das fühlt sich für den Moment gut an, weil du der Unsicherheit und Angst, es nicht gut zu machen, entkommst. Langfristig entsteht aber immer mehr Druck, und du hast zunehmend ein schlechtes Gewissen – fühlst dich nicht im Reinen mit dir. Zwischen Vermeidung und harter Selbstkritik pendelnd leidet dein Selbstwertgefühl. Bis zur letzten Minute hinausgezögert stellst du die Aufgabe fertig und bist danach vollkommen erschöpft. Dein Kopf macht dir Vorwürfe dafür, dass du es wieder so lange hinausgezögert hast.
Wie du aus dem Teufelskreis aussteigen kannst
3 Pointer zum Erkennen & Erkunden
Beobachte dich selbst in den kommenden drei Tagen: Wann und wo spielt dein Perfektionismus eine Rolle in deinem Alltag, die dazu führt, dass dein Leben weniger lebenswert ist? Dass du wichtige Dinge nicht angehst? Hier ein paar Ideen:
• Prokrastination: Gibt es eine vielleicht fordernde Aufgabe auf der Arbeit, die du aktuell immer weiter aufschiebst? Dann ist jeder Moment, in dem du mit dem Gedanken spielst, die Aufgabe zu erledigen, es aber dann doch nicht tust oder abbrichst, voller wertvoller Informationen. Was passiert hier in dir? Was sagt dir dein Kopf? Und viel wichtiger: Was geht in deinem Körper vor?
• Unentschlossenheit: Gibt es Situationen, in denen du Probleme hast, eine Entscheidung zu treffen? Diese können groß oder klein sein – sei es die Auswahl der Klamotten für den Tag, welches Essen du im Restaurant wählst oder die Entscheidung für einen Lebensort oder Beruf. Auch hier kannst du erkunden: Was passiert mit dir oder in dir, wenn du dich in Entscheidungssituationen befindest?
• Grübeln und Sorgen: Verbringst du viel Zeit in deinem Kopf, in deinen Gedanken? Zweifelst an vergangenen Entscheidungen oder zerdenkst Probleme? Hier gilt dasselbe. Wenn du dich in „Warum..?“ oder „Was wäre, wenn..?“ Gedanken verlierst, schaue auch hier – was spüre ich eigentlich gerade? Welche Emotionen oder Empfindungen sind gerade in mir?
Just do it (Danke dafür, Nike)
Wenn du von Vermeidungsverhalten wegkommen möchtest, ist es also wichtig, dich der Angst und Unsicherheit aussetzen zu können, welcher du aktuell mit Perfektionismus begegnest. Was heißt das konkret? Schaffe Platz für Angst und Unsicherheit in dir und tue trotzdem, was wichtig ist.
Dem Unbehagen mit Neugier begegnen?
Wir können die Fähigkeit, Unangenehmes zu spüren, als Muskel betrachten, den wir trainieren können. Wenn du üben möchtest, dich weniger von Angst und Unsicherheit leiten zu lassen, dann übe genau das.
Hier macht es Sinn, im Kleinen anzufangen. Du kannst z. B. damit starten, E-Mails nur noch ein- statt zehnmal Korrektur zu lesen, bevor du sie rausschickst. Du könntest auch blind auf ein Gericht in der Karte zeigen und dir dieses bestellen oder dir ganz bewusst weniger Zeit als üblich geben, um eine Entscheidung zu treffen. Du könntest etwas anziehen, was du sonst nicht trägst, ohne dich im Spiegel zu betrachten, und so das Haus verlassen. Oder du gehst kleine Risiken ein, wie z. B. den Pfannkuchen werfend in der Pfanne zu wenden (wenn das kein Skill ist, den du ohnehin bereits beherrschst). Lasse deiner Kreativität freien Lauf und beobachte, wie das für dich ist.
Mit diesen kleinen Experimenten kannst du deine Bereitschaft für Unangenehmes erhöhen (und vielleicht auch ein wenig Spaß haben). Letztendlich geht es aber natürlich darum, dass du die Dinge tust, die für dich zählen.
Der innere Schweinehund
Vermutlich hat dein Kopf die eine oder andere Version von „nicht gut genug..“ über dich parat. Unser Kopf möchte uns vor Enttäuschungen bewahren, uns auf Gefahren vorbereiten, sichergehen, dass wir genug beitragen und in unsere Gruppe „passen“, wertvoll sind – das hat in früheren Zeiten unser Überleben gesichert. Es sind in unserer heutigen Lebensrealität genau diese Bemühungen, uns als besonders wertvoll zu beweisen, vielleicht auch uns selbst gegenüber, die zu Erschöpfung und depressiven Symptomen führen.
Tun, was zählt
Wenn du merkst, dass dein Perfektionismus dir mehr schadet, als er nützt, kann es hilfreich sein, dir psychologische Unterstützung zu suchen, um einen gesünderen Umgang damit zu finden. In meiner psychologischen Beratung kann ich dich dabei begleiten, einen neuen Umgang mit schwierigen Gefühlen zu erlernen, neue Perspektiven zu entwickeln und Wege zu finden, das zu tun, was für dich zählt. Hier kannst du dich über mein Angebot informieren.
Quellen
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0272735821000258
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0005796718301785