Wir alle haben einen individuellen Blick auf die Welt. Dieser ist sowohl durch die Entstehungsgeschichte unserer Vorfahren geformt, als auch durch unsere eigenen Lebenserfahrungen und Veranlagungen. Und dieser Blick (unsere Wahrnehmung und unser Denken) beeinflusst unser psychisches Befinden. Und unser psychisches Befinden beeinflusst wiederum unsere Wahrnehmung und unser Denken.
Diese gegenseitige Beeinflussung wirkt sich auf verschiedenen Ebenen aus – dein emotionales Befinden, deine körperlichen Reaktionen, dein bewusstes Denken und dein Verhalten. Unterschiede in Wahrnehmung und Denken werden in der Fachsprache als kognitive Verzerrungen bezeichnet. Diese finden automatisch und unbewusst statt und beeinflussen, als wie angenehm oder unangenehm du Situationen in deinem (täglichen) Leben wahrnimmst.
Zum Wahrnehmen und Denken gehören verschiedene Denkprozesse wie Aufmerksamkeit, Interpretation oder Gedächtnis. Und all diese Prozesse werden von kognitiven Verzerrungen beeinflusst. Nehmen wir als Beispiel eine negative kognitive Verzerrung. Diese spielt bei Depressionen und Ängstlichkeit eine wichtige Rolle – sowohl bei der Entstehung als auch bei der Aufrechterhaltung depressionsartiger oder angstbezogener Symptome.
Wenn man negative kognitive Verzerrungen am Beispiel der drei Denkprozesse durchspielt, wird deutlich, inwiefern sie dein psychisches Wohlbefinden beeinflussen. Bei Aufmerksamkeitsprozessen schenkt jemand mit negativer kognitiver Verzerrung negativen Informationen mehr Aufmerksamkeit als neutralen oder positiven. Beim Interpretieren werden eigentlich neutrale oder uneindeutige Informationen eher negativ als positiv bewertet. Und bei Gedächtnisprozessen kann Negatives leichter und besser erinnert werden als Positives.
Wie dein Blick das Erleben von alltäglichen Situationen prägt
Diese kognitiven Verzerrungen prägen wiederum dein alltägliches Erleben von Situationen. Nehmen wir als Beispiel ein Abendessen mit FreundInnen. Du sitzt mit drei FreundInnen am Tisch und erzählst ihnen von einer neuen Technologie, die du jüngst im Internet entdeckt hast. Eine deiner Freundinnen schaut mürrisch, eine andere lächelt, der dritte Freund hat einen neutralen Gesichtsausdruck. Mit negativen kognitiven Verzerrungen wirst du der mürrisch blickenden Freundin intuitiv deine Aufmerksamkeit schenken und vom neutral schauenden Freund eine negative Reaktion erwarten. Das Lächeln der dritten Freundin wirst du vielleicht gar nicht wahrnehmen oder denken, dass es nichts mir dir zu tun hat.
Die wahrgenommene negative Reaktion deiner FreundInnen (in Form der Gesichtsausdrücke und Schlüsse die deshalb über die Haltung der anderen gezogen werden) lässt dich natürlich nicht unberührt. In der Konsequenz fühlst du dich vielleicht verunsichert oder angegriffen, vielleicht erhöht sich daraufhin sogar deine Herzrate oder wirst nervös und du denkst so etwas wie “sie finden vielleicht langweilig was ich erzähle”, “vielleicht rede ich zu viel” oder gar “ich glaube sie finden was ich sage dumm”. In der Folge hörst du vielleicht auf offen und begeistert von deinem Fund zu berichten und nimmst innerlich eine selbstkritische oder verteidigende Haltung ein. Die ganze Situation wird von dir als eher unangenehm wahrgenommen, und dir werden nachträglich vielleicht immer wieder Zweifel an dir oder deinen FreundInnen kommen.
Mit einer positiven kognitiven Verzerrung sähe die Situation anders aus. Hier würdest du der Freundin mit lächelndem Gesichtsausdruck intuitiv deine Aufmerksamkeit schenken und von dem neutral schauenden Freund ebenfalls eine positive Einstellung oder Reaktion erwarten. Auf deine mürrisch dreinblickende Freundin wirst du dich weniger fokussieren. Diese wahrgenommenen positiven Reaktionen werden dich selbst in eine gute Stimmung versetzten, deine Körperhaltung wird offener, deine Gedanken drehen sich vielleicht eher um die Sache an sich (“Mir fällt noch ein…”, “…das könnte auch interessant sein”) und du bist aufgeschlossen für die Meinung deiner FreundInnen. Die selbe Situation wird also als bestärkend und angenehm wahrgenommen, die Erfahrung etwas von dir zu teilen als positive, deine FreundInnen als interessiert und was du erzählst als interessant.
Evolutionäre Einflüsse auf Wahrnehmung und Denken
Unser Kopf hat einen Job – uns und unsere Nachfahren am Leben zu erhalten. Die Köpfe derer, die darin besonders gut waren, waren diejenigen, die zu früheren Zeiten eher überlebt haben. Es hat eine evolutionäre Anpassung der Aufmerksamkeit an überlebenswichtige Reize stattgefunden. Wir achten mehr auf solche Dinge, die uns verletzen oder erhalten könnten. “Gefahren” wie Schlangen, Spinnen oder besonders böse dreinblickende Gesichter werden schneller wahrgenommen wie neutrale Dinge, gleiches gilt für vergnügliche Reize (z.B. Fortpflanzungsrelevante, wovon die Werbebranche regen Gebrauch macht).
Alle Menschen haben also kognitive Verzerrungen für sehr negative Informationen oder fortpflanzungsrelevante. Bei ängstlichen Menschen ist diese Schwelle allerdings etwas niedriger, sie nehmen auch nur leicht negative Informationen schneller und leichter wahr als neutrale. Selbes gilt für Menschen mit Depressionen – leicht negative Informationen sind ihnen zugänglicher und präsenter als Menschen ohne Depressionssymptomatik.
Wie kognitive Verzerrungen mit psychischer Widerstandskraft zusammenhängt
Psychische Widerstandskraft wird als Resilienz bezeichnet. Resilienz bedeutet die Beibehaltung oder das Wiedererlangen von psychischer Gesundheit trotz schwerwiegender psychischer oder physischer Belastung. Kognitive Verzerrungen können deine Resilienz dadurch beeinflussen, wie du Erfahrungen, die du sammelst, bewertest. So führt eine gewohnheitsmäßige leichte Verzerrung zugunsten positiver Informationen dazu dass in vielen Situationen zur Verfügung stehende Ressourcen gleichermaßen in den Blick fallen wie deren Anforderungen. So werden Situationen eher als Herausforderung denn als Bedrohung bewertet. Situationen werden zumal produktiver bewältig, was sich positiv unter anderem auf dein Selbstwirksamkeitsgefühl auswirkt. Das wiederum beeinflusst langfristig positiv deine psychische Gesundheit, trotz dem Vorliegen von Belastungen.
Ein bisschen rosarote Brille ist also förderlich für deine Resilienz. Viele entgegnen hier: “Was nützt es sich die Dinge schön zu reden, wenn doch die Wahrheit einfach anders ist”. Meine Gedanken dazu: “Die Wahrheit” kann weiterhin als Wahrheit anerkannt bleiben. Und neben “der Wahrheit” kann der Aspekt der Funktionalität von gezogenen Schlüssen oder Annahmen angeschaut werden. Denn tut dich das übermäßige fokussieren auf die “Wahrheit” motivieren etwas zu ändern? Oftmals sorgt der starke Fokus auf unangenehmen Wahrheiten dafür, dass du dich hoffnungslos und demotiviert fühlst. Was es wiederum schwieriger macht, etwas zu ändern. Es geht nicht darum, sich die Dinge schön zu reden, sondern viel eher darum, sich auf die eigenen Ressourcen zu fokussieren und das Beste daraus zu machen. Also weg vom problemorientierten Fokus hin zum lösungsorientierten Fokus.
Das Wissen um kognitive Verzerrungen kann helfen, (auch präventiv) Selbe zu modifizieren. Das beginnt damit, zu Erkennen, ob und in welchem Maße wann kognitive Verzerrungen in deinem Leben eine Rolle spielen könnten und dann zu schauen, wie eine Veränderung herbeigeführt werden kann. Gern kannst du dich an mich wenden, wenn du hierbei Unterstützung wünschst.